"Wenn der Minister an der Haustür klingelt"

Pressebericht der Augsburger Allgemeinen - veröffentlicht am 6. Februar

06.02.2025

Wolfgang Schmidt ist der Mann hinter Olaf Scholz: Kanzleramtschef, loyaler Spindoktor, ein Mechaniker der Macht. Er agierte meist im Hintergrund, doch jetzt will er in den Bundestag. Kann das funktionieren?

Der Herr über die deutschen Geheimdienste steht in einem hellen Treppenhaus in Hamburg Eimsbüttel und drückt lächelnd eine Türklingel. Es muss die sechste oder siebte Wohnung sein, bei der er in der vergangenen Viertelstunde geläutet hat, vielleicht waren es sogar mehr. Auf der anderen Seite der Tür poltern Schritte, eine blonde Frau öffnet. „Hallihallo“, sagt der Mann freundlich beschwingt. „Nicht erschrecken, ich bin Wolfgang Schmidt von der SPD und ich bewerbe mich um ihre Stimme bei der Bundestagswahl“. Die Frau guckt kurz irritiert. „Ich wollte Ihnen nur ein paar Informationen dalassen“. Schmidt, ein großer Mann mit dunklen Haaren und grauem Bart, kramt in seinem roten SPD-Beutel und drückt der Frau einen Flyer in die Hand. 

Eigentlich wolle sie die SPD ja nicht mehr wählen, sagt sie, Olaf Scholz sei ihr zu zögerlich in der Ukraine-Politik, da gefällt ihr der Habeck besser, der könne außerdem so gut reden, aber naja, vielleicht gibt sie der SPD nochmal eine Chance, zumindest mit der Erststimme. „Das freut uns. Vielen Dank.“ Tür zu, nächste Wohnung, Schmidt hat nicht viel Zeit.

Wahlkampf mit Bodyguard: Wolfgang Schmidt unterwegs für die SPD

Hunderte Frauen und Männer bewerben sich in diesem Jahr zum ersten Mal für den deutschen Bundestag. Wolfgang Schmidt dürfte der prominenteste dieser Neu-Wahlkämpfer sein. Nicht viele Kandidaten jedenfalls haben zwei Personenschützer auf der Wahlkampfrunde dabei.

Als „Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes“ ist Schmidt Teil der Bundesregierung und gehört zu den mächtigsten Männern dieses Landes. Nicht nur, weil er im Kabinett sitzt und in seiner Funktion auch „Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes“ ist. Der 54-Jährige gilt als der engste Vertraute des Bundeskanzlers. Seit über 20 Jahren arbeitet Schmidt für Olaf Scholz. Meist blieb er im Hintergrund - als loyale Nummer zwei hielt er seinem Chef den Rücken frei. Zuletzt saß er mit am Tisch, wenn über den Haushalt entschieden wurde oder über die Hilfen für die Ukraine. Große Politik also. Jetzt aber, wo die Ära Scholz zu enden scheint, tritt der gebürtige Hamburger aus dem Hintergrund - und will in den Bundestag. Kann das funktionieren?

Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt: Ganz eng mit Olaf Scholz

Schmidt mag zwar einer der prominenteste Neu-Wahlkämpfer sein. Die meisten Menschen, bei denen er klingelt, erkennen ihn trotzdem nicht. „Oft merken sie erst hinterher, wer sie da heimgesucht hat“, sagt Schmidt. „Wenn sie sich den Flyer genauer anschauen oder den Namen googlen.“ Anders als seine Vorgänger Helge Braun und Peter Altmaier hält sich der Fußball-Fan bewusst im Hintergrund. In den vergangenen drei Jahren war er selten in Talkshows zu sehen, gab vergleichsweise wenig Interviews. „So habe ich meine Rolle in der Bundesregierung einfach nicht definiert.“ 

Um diese Rolle zu verstehen, muss man wissen, was für ein Typ Politiker Schmidt ist. Es gibt im Grunde zwei Charakterzuschreibungen, die man immer wieder über ihn hört oder im Gespräch mit ihm erlebt. Erstens: Seine symbiotische Beziehung zu Olaf Scholz. Seit 2002 arbeitet Schmidt für den heutigen Kanzler, er ist ihm überall hin gefolgt. Als Scholz Generalsekretär wurde, heuerte er Schmidt als Referent an. Im Bundesarbeitsministerium arbeitete er als Scholz‘ Büroleiter. Als der Bürgermeister in Hamburg wurde, ernannte er den Genossen zu seinem Bevollmächtigten in Berlin. Und im Bundesfinanzministerium wurde Schmidt schließlich Staatssekretär. Eine ungewöhnlich lange und treue Beziehung. Zur Symbiose wird sie aber erst mit Blick auf Schmidts Auftreten: Er ist offen, zugewandt, witzig. Adjektive, die – und da tritt man dem Kanzler nicht zu nahe – auf Olaf Scholz nicht zutreffen. Schmidt hat das, was Scholz fehlt. Und irgendwie auch andersherum. 

Ärger mit der Justiz

Das Zweite, was man über Schmidt wissen muss: Er gilt als loyaler Spindoktor des Kanzlers. Ein Mann also, der die Aussagen seines Chefs ins rechte Licht rückt. Und niemand verteidigt die Arbeit von Olaf Scholz so leidenschaftlich und unermüdlich wie Schmidt. Dafür nimmt er sogar Strafen in Kauf. Als 2021 kurz vor der Bundestagswahl Ermittler der Staatsanwaltschaft Osnabrück das von Olaf Scholz geführte Finanzministerium durchsuchten (nicht rechtmäßig, wie im Nachhinein geurteilt wurde), veröffentlichte Schmidt den zugehörigen Gerichtsbeschluss auf der Plattform X, damals noch Twitter. Weil das Publizieren von amtlichen Dokumenten aus laufenden Strafverfahren aber verboten ist, musste Schmidt 5000 Euro Strafe zahlen. 

Außerdem pflegt Schmidt ein enges Verhältnis zu Journalisten. Gibt sich nahbar, duzt viele. In der Vergangenheit stand er aber auch in der Kritik, weil er Druck auf Medienleute ausgeübt haben soll. Beispiel: Cum-Ex. Als die Süddeutsche Zeitung einen kritischen Text über die Rolle von Olaf Scholz in der Cum-Ex-Affäre veröffentlichte, soll Schmidt sich persönlich beim Chefredakteur der Zeitung beschwert haben. Der Vorwurf: Er habe Einfluss auf die Berichterstattung nehmen wollen. 

Was ist mit Cum-Ex?

Diese nennen wir es: Talente beweist Schmidt auch auf seiner Wahlkampftour. Im Gespräch mit Bürgern ist er charmant, wirkt ehrlich interessiert. Mühelos wechselt er ins Spanische, als er sich mit einer Frau unterhält, die noch auf ihre Einbürgerung wartet. Doch auch wenn die meisten nicht wissen, wer er ist: Zwangsläufig kommt das Gespräch fast immer auf die Ampel und auf Olaf Scholz. Keine große Hilfe, eher im Gegenteil. Die Bundesregierung, sie ist wahrscheinlich sein größtes Hindernis in diesem Wahlkampf. Aber Schmidt wäre nicht Schmidt, wenn er die Arbeit des Kanzlers nicht ausdauernd zu verteidigen wüsste.

„Also wenn ihr Chef nich‘ wär, dann würd‘ ich Sie ja sogar wählen“, hamburgert ihm ein Mann entgegen, der gerade das Altglas webringen will.

„Darf ich fragen, warum? Ich arbeite nun ja scho ‘nen Tach länger mit ihm zusammen.“

„Naja mit Cum-Ex zum Beispiel…“

Und dann ist Schmidt in seinem Element. Die Strategie: Er flutet sein Gegenüber mit Details. Da geht es plötzlich um die Farbe, mit der die zuständige Finanzbeamtin in den Unterlagen unterstrichen hat, es geht um Verjährung, um Änderungsbescheide des Finanzamts und um Zinsen, die in die Hamburger Staatskasse flossen. Überhaupt seien das alles Falschbehauptungen, die ein paar Journalisten zusammen mit der Opposition verbreitet hätten, um Scholz zu schaden. Wenn der Mann mehr wissen wolle, sagt Schmidt, er habe da mal ein paar Infos zusammengeschrieben. Das schicke er ihm gerne per Mail zu. Und dann gibt der Mann, der ja eigentlich nur auf die Gedächtnislücken des Kanzlers hinweisen wollte, der Schmidt’schen Detail-Flut bei. Naja, vielleicht habe Scholz da doch richtig gehandelt, sagt er etwas resigniert. Er wisse es ja nicht so genau.

Wolfgang Schmidt glaubt, dass Olaf Scholz die Bundestagswahl 2025 gewinnt

Die Zustimmungswerte für Scholz und die Ampel mögen desaströs sein. Schmidt hat an diesem Tag aber einen unverhofften Wahlkampfhelfer. Er heißt Friedrich Merz und ist Kanzlerkandidat der Union. Der brachte mit Stimmen der AfD einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik durch den Bundestag. „Ich habe mir das angeschaut, was der Merz da gemacht hat, die ganzen drei Stunden“, sagt eine Frau. „Furchtbar war das!“ Schmidt nimmt das gerne auf. „Haben Sie gesehen, dass Merkel sich auch schon distanziert hat?“, bohrt er nach. „So weit ist es schon.“ Deshalb müsse man jetzt SPD wählen, damit man das in Zukunft verhindere, sagt Schmidt.